Gastrosophie Geschichte Köche Kultur Literatur Religion Skurriles Impressum
Startseite Gastrosophie U - V Vaerst, Eugen von

Gastrosophie


A - B K - L Q - R S - T U - V

Vaerst, Eugen von



Vaerst, Eugen von



Friedrich Christian Eugen Baron von Vaerst (* 10. April 1792 in Wesel; † 16. September 1855 zu Herrendorf bei Soldin), Pseudonym Chevalier de Lelly, war preußischer Offizier, später Schriftsteller, Theaterdirektor in Breslau und Gastrosoph.

Vaerst besuchte die Kadettenschule in Berlin, trat 1810 in die Armee ein und nahm 1812–1815 an den Feldzügen gegen Frankreich teil. 1818 quittierte er den Dienst bei der Armee, um als „Kavalier“ durch Europa zu reisen. Er war Trinkgenosse von E.T.A. Hoffmann, dem er als Vorbild für seinen Bruder Serapion diente und befreundete sich in Breslau u. a. mit Karl Schall, Karl von Holtei, Karl Witte und Franz von Schober. Später arbeitete Vaerst auch journalistisch (unter anderem für Schalls (Neue) Breslauer Zeitung), spielte eine Rolle in der Diplomatie und schrieb Bücher, so etwa (unter dem Pseudonym „Chevalier de Lelly“) die „Cavalier-Perspective“, ein „Handbuch für angehende Verschwender“ (1836), in dem er seinen Aufenthalt in Paris und vor alle seine Börsenspekulationen dieser Zeit schildert. Dieses Buch ist übrigens – ein literarischer Scherz am Rande – „seinem lieben Freunde und Vetter Eugen Baron Vaerst“ gewidmet.

Zwischen 1840 und 1847 war Vaerst Direktor des Breslauer Theaters, gab diesen Posten jedoch wegen einer Erkrankung auf, die ihn bald ans Bett fesselte und erblinden ließ. Er zog sich auf das von seinem Bruder Hugo Hans 1846 erworbene Gut in Herrendorf (heute poln.: Chlopowo) bei Soldin (heute poln.: Mysliborz) in Westpommern zurück und schuf in dieser Abgeschiedenheit nach zehnjähriger Arbeit sein Hauptwerk, die über 600 Druckseiten starke „Gastrosophie oder die Lehre von den Freuden der Tafel“, die 1851 in zwei Bänden erschien. Wegen des verwandten Themengebiets gilt von Vaerst daher auch als der deutsche Brillat-Savarin – allerdings wurde von Vaersts Werk weit weniger rezipiert als Brillat-Savarins „Physiologie du gout“.

In seiner „Gastrosophie“ erhebt von Vaerst den Genuss von Speisen zu einer Kunstform und beschreibt die drei Arten von Feinschmeckern: den Gourmand, den Gourmet und den Gastrosophen; der Begriff „Gastrosophie“ wurde in diesem Buch erstmals in den deutschen Sprachgebrauch eingeführt. Der erste Band behandelt u. a. alle Arten von Speisen (Fleisch, Wild, Geflügel, Gemüse, Gewürze, Soßen, Fisch usw.), der zweite Band widmet sich u. a. den Getränken (Wasser, Wein, Kaffee, Tee und Bier) und beschreibt ein athenische Gelage.

Das Titelblatt weist aber schon mit dem Lessing’schen Motto „Nur Bekanntes!“ darauf hin, dass es sich bei diesem Werk um eine Kompilation handelt, die von Vaerst – wie er selbst schreibt – „aus Tausenden von Exzerpten, aus zehntausenden Zitaten“ zusammengestellt habe. Zahllose Belegstellen, Anekdoten und Pikanterien verschiedener Autoren verschmelzen hier mit den eigenen Ansichten von Vaersts. Obwohl das Buch damit eher den Charakter einer Anthologie als den eines Lehrbuchs aufweist, bleibt dieses Buch schon wegen der Menge der zusammengestellten Stellen eine unschätzbare Quelle für kulinarische Querverweise in Geschichte, Literatur und Philosophie. Der pädagogische Anspruch indes wird durch die Vielzahl der Anekdoten und den unterhaltsamen Stil eher verdeckt als gehoben. Dem Kritiker Schraemli zufolge ist es das „geistreichste Werk, das je über die Freuden der Tafel geschrieben worden ist.“




Zitate:

Das gastrosophische Lehrbuch des von Vaerst zu lesen bereitet auch heute noch großes Vergnügen. Neben allerlei Abstrusitäten finden sich zahlreiche mit unverkennbarem Augenzwinkern geschriebene Passagen von zeitloser Aktualität. Bereits die Stoßseufzer im Vorwort lassen das erahnen:

"Wer in Deutschland ein Kochbuch schreiben will, der muß damit anfangen, den Töpfer zu lehren, den Herd zu bauen, damit er nicht blos Feuer von unten oder von oben, sondern auch beides zugleich geben könne; er muß den Fleischer lehren, das Fleisch zu hacken, und vor allen Dingen den Bäcker, das Brot zu backen, namentlich die Semmel, die oft eine Art von Leder und vollkommen unverdaulich ist. Zwar heißt es schon im Psalter (104, Vers 15), daß das Brot des Menschen Herz stärke, aber gewiß thut dies nicht diese Semmelsorte, und wenn Lin- guet behauptet — und das ist eins der größten Parodoren, die ich kenne — das Brot sei ein schädliches Nahrungsmittel, so müssen ihm wol dergleichen Leder-Semmeln vorgeschwebt haben. Es ist ferner nöthig, mit dem Gärtner, der Gemüseverkäliferin, dem Viehhändler und Viehmäster *), mit hundert Leuten, bis zu dem Küchenjungen, damit er den Spinat sehr fein hackt, ihn lange reibt und rührt, den Salat nicht wäscht u. s. w., Rücksprache zu nehmen, und alles Das ist um so gründlicher nothwendig, als alle schlechten Handwerker — und ihre Zahl ist Legion — keine Belehrung lieben und in dem Glauben leben und sterben, Alles besser zu wissen. Zu diesem weitläusigen, undankbaren, harten Belehrungsgeschäft gehört unter Andern, auch ein eiserner Wille, an dem es mir nicht fehlt, und eine ähnliche Gesundheit, die mir ganz und gar mangelt, und so blieb mir zum Besten vaterländischer Eßkünstler nichts übrig als das hier vorliegende Werk." (Eugen von Vaerst - Gastrosophie oder Lehren von den Freuden der Tafel / Vorwort)

Überraschende Analogien verraten den an Paracelsus geschulten Kenner:

"Ich verlange die Gespräche bei Tisch ebenso leicht und abwechselnd als die Speisen: Jene sollen ebenso wenig den Kopf wie diese den Magen drücken; die beste Probe für beide ist, wenn Kopf und Magen sich danach leicht fühlen. Man vergesse nie, dass man nicht plaudert, wenn man streitet. Ein angenehmes Kosen mit Schüsseln und Gästen ist an rechter Stelle, und wenn es jemals erlaubt ist zu sprechen, ohne sich um die Antwort zu kümmern, so ist's hier." (Eugen von Vaerst - Gastrosophie oder Lehren von den Freuden der Tafel)

Noch mehr "Exzerpte" finden Sie über die in der rechten Spalte verlinkten Unterseiten.

Bouillon Kalb