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Vaerst, Eugen von



Rindfleisch



"Rindfleisch. — „Mir ist (heißt es im Shakespeare) als hätte ich manchmal nicht mehr Witz, als ein Christensohn oder ein gewöhnlicher Mensch hat. Aber ich bin ein großer Rindfleischesser und ich glaube, das tut meinem Witz Schaden." — Mein Großvater, ein General Friedrichs des Großen, der aber sicherlich den Shakespeare nicht gelesen hatte, pflegte zu sagen: Viel Rindfleisch essen macht grobe Gebärden.

Rindfleisch ist ein unerschöpflicher Quell in der Hand des geschickten Kochs. Das Rindfleisch ist der König der Küche, die immer frische Quelle für Entrées und Hors-d'oeuvre: unzählige Vorteile sind ohne dasselbe gar nicht möglich. Ohne Rindfleisch keine klassische Suppe und Sauce; ohne dasselbe kein vollkommenes Mahl. Freilich wird man bei einem mittelmäßigen Kulturzustande kein gutes Rindfleisch erzielen. Eine Kuh, die nicht mehr kalbt, und ein Ochs, der nicht mehr im Pfluge taugt, können, wenn auch möglichst gut gemästet, keine Zierde der Tafel sein. Dreijähriges Vieh, das nie viel Arbeit getan, von zarter Jugend an nur der Bestimmung des Gegessenwerdens planmäßig folgte, gehört auf eine gute Tafel. Es ist aber unmöglich, gutes Rindfleisch zu erhalten, solange man, wie bei uns, in allen kleinen und mittleren, selbst in vielen großen Städten für dasselbe nur einerlei Preis hat. In England, Frankreich ist das für die herrschaftliche Tafel bestimmte Fleisch überall teurer als alles andere. Ich habe mich bei uns in vielen Städten vergebens bemüht, für höheren Preis allemal das beste Fleisch zu bekommen. Das fast allgemeine Vorurteil der Fleischer sträubt sich gegen eine Einrichtung, aus welcher sie namhaften Nutzen ziehen könnten. Sie behaupten, sich ihre Kunden dadurch zu verjagen. Das dümmste Apfelweib ist klüger; denn sie sortiert den ganzen Tag und bestimmt danach ihre Preise. In den meisten großen Städten Deutschlands kostcn freilich die besten Teile des Rindes, z. B. das Filet, mehr und sind außer den Taxen. Oder wenn die pedantische Marktpolizei diese streng aufrecht erhalten will, wird sie auf eine andere Weise umgangen. Das Filet wird z. B. in Dresden so herausgehauen, dass es mit allen daran hängenden Knochen, Flechsen und Fettteilen dreimal soviel wiegt als das eigentliche Filet, welches auf die Tafel kommt, schwer ist. In Berlin kann man Fleisch zu jedem Preise bekommen.

Beefsteak kennt man (nach I. G. Kohl) in Deutschland gar nicht. Man hat, sagt er, in Hamburg ausgenommen, weder das Fleisch dazu, noch kennt man die Art, es zu schneiden und zu bereiten. Es muss fett sein, keine andere Sauce als Butter haben, schnell am großen Feuer bereitet, blutig, saftig und tendre zugleich sein. Es darf gebunden werden, damit die Ius konzentriert bleibt; aber dies Binden muss mit großer Vorsicht geschehen. Der Engländer nimmt dazu entweder ein Lendenstück, oder ein aus dem Schenkel in senkrechter Richtung auf den Knochen, auf beiden Flächen soviel als möglich parallel geschnittenes Stück von nicht weniger als ¾ Zoll Dicke, salzt es auf beiden Seiten gehörig ein, bestreut es alsdann mit grob gestoßenem, nicht bis zu Sand zerstoßenem Pfeffer, und legt es auf einen möglichst heißen Rost, unter welchen, sich eine Holzglut, oder besser, ein starkes aber nicht flammendes Steinkohlenfeuer befindet. Die Ursache, warum der Rost vorher heiß sein muss, ist, damit das Blut nur an den äußersten Flächen gerinne, das Innere aber vollkommen saftig bleibe. Wird aber das Fleisch auf einen kalten Rost gebracht, so wird es während der ersten Sekunden langsam geschmort; denn es absorbieren die Eisenstäbe, als dessen Wärmeleiter, anfangs eine sehr bedeutende Menge Wärmestoff, ehe sie diesen als Leiter dem Fleische zuführen, und so wird das Steak gewöhnlich zähe und geschmacklos. Auch wird es durch diese unmenschliche Behandlung buchstäblich gebrandmarkt und trägt sodann den unverkennbaren Stempel der Barbarei des Kochs.

In England hat man auch nicht, wie bei uns, die alberne Gewohnheit, die Ochsen in kleine Stückchen zu zerfetzen, um den jedesmaligen Verbrauch den Bedürfnissen der kleinsten Familien anzupassen, die davon nichts als ausgekochte oder verbrannte Tierfasern zu essen bekommen; sondern man bereitet ein großes Stück von 20, sogar bis 80 Pfund auf einmal, und es ist dann das am Spieße gebratene oder in großen Dampfkesseln nicht zur Suppe ausgekochte Fleisch natürlich schmackhafter und saftiger, als jedes ähnliche Gericht auf dem Kontinent. Zwar wird dieser Braten, wenn er nicht in einer Mahlzeit aufgezehrt wird, den folgenden Tag kalt aufgetragen; aber es ist doch gewiss besser, dass man einen guten Braten kalt, als einen schlechten heiß und verbrannt genieße. Freilich bin auch ich dieser Meinung, denn mein alter Spruch:

Gut gemeint und schlecht geraten
Das ist ein verbrannter Braten,

gilt denn doch hier, wie überall — aber gegen die obige Beefsteak-Theorie muss ich großenteils ankämpfen.

Vor allen Dingen taugt die Pfefferwürzung den Teufel nichts und ist höchstens für einen überreizten oder einen Matrosen-Magen, für Rum- und Portwein-Trinker, und für ein Nebelland, wo man der schweren Verdauung zu Hilfe kommen muss. Das Beefsteak wird nur von Filet und nicht von der grobfaserigen Lende geschnitten; dies ist ein arger Schnitzer. Steinkohlenfeuer ist bei den ungeheuern Holzpreisen in England zu entschuldigen. Gebildete Leute des Kontinent nehmen dazu Koks, und Menschen von feinem Geschmacke Holzkohlen. Man darf überhaupt im Allgemeinen wohl das Material der Engländer zu Fleisch- und Fischspeisen obenan stellen und zum Beispiel annehmen, aber durchaus nicht die Zubereitungsweise. Diese ist für alle mit Sprit zu einem Liqueur gesteigerten, feurigen Weine für die Verdauung das, was uns ein Glas Wasser bei Tische. Man sehe, was eine englische zierige Dame bei Tische in der Regel in Madeira und Claret vertilgt, und erstaune.

Es ist auch unrichtig, dass bei uns überall das Material zu gutem Beefsteak fehlt: jeder Fleischer schneidet es selbst in den Landstädten aus dem Filet, und da in keiner nur einigermaßen ordentlichen Küche ein Rost fehlt, der mit Unrecht gerühmten Beefsteak-Maschine von Blech nicht zu gedenken, die jeder Klempner macht: so kann sich jeder verständige und geschmackvolle Mensch ein Beefsteak bereiten. Das Fleisch findet sich in den größeren Städten Deutschlands von ganz guter, in einigen, wie Berlin, Wien, Dresden, Frankfurt, München, Augsburg, Stuttgart, Hamburg u s. w. von bester Qualität.

Die Engländer klagen freilich, aus falschem Patriotismus, wenigstens oft mit Unrecht über schlechtes und schlecht bereitetes Fleisch auf dem Kontinente; auch kennen sie oft nur das aus Gasthäusern. Es gibt, sagt Lord Byron, in ganz Italien kein Stück Rindvieh, was einen Fluch wert ist, wenn nicht Jemand einen ganzen Ochsen samt seiner Haut an der Sonne getrocknet essen kann. Die Franzosen necken zwar überall die Engländer wegen ihrer Vorliebe für schwere Massen, wie für Beefsteak; haben aber freilich nichts, was dem nahe kommt." (S.57-61)

Verdauung Bouillon